für den Umweltschutz in der Europäischen Union
Einzelpersonen und Umweltverbände können Verwaltungs-, Beschwerde- oder Gerichtsverfahren initiieren, um Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen von europäischen Organen in Umweltfragen zu überprüfen.
Die Aarhus-Konvention auf EU Ebene:
Rechte einklagen
Personen, die einen Antrag auf Umweltinformationen bei einem EU-Organ gestellt haben, das diesen ganz oder teilweise abgelehnt hat, können auf die Herausgabe der Umweltinformationen klagen.
Hat ein EU-Organ die Öffentlichkeit gar nicht oder nicht richtig bei einem Entscheidungsprozess beteiligt, kann sie eine Beschwerde bei der Europäischen Ombudsstelle oder beim Aarhus Convention Compliance Commitee einreichen.
Umwelt-NGOs und Einzelpersonen können ferner eine interne Überprüfung von Europäischen Verwaltungsakten veranlassen und wenn nötig, vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.
Außerdem sind Direktklagen für Individualkläger*innen und Verbände vor dem Europäischen Gerichtshof vorgesehen.
Auch weitere indirekte Klagemöglichkeiten (Vorabentscheidungsverfahren) und Beschwerden im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens können von Bürger*innen und Verbänden genutzt werden.
All diese Möglichkeiten werden nachfolgend erläutert.
Broschüre – Informieren – Zugang zu Umweltinformationen der Europäischen Union
Rechtsbehelfe gegen
abgelehnte Umweltinformationsanfragen
Lehnt ein EU-Organ eine Umweltinformationsanfrage endgültig ab, bestehen für die Antragstellenden zwei Möglichkeiten (Artikel 8 Absatz 3 Transparenz-Verordnung):
- Beschwerde bei der oder dem Bürgerbeauftragten (Artikel 24 Absatz 4 f. AEUV in Verbindung mit Artikel 228 Absatz 1 AEUV) oder
- Nichtigkeitsklage gegen das EU-Organ vor dem Europäischen Gerichtshof einzureichen (Artikel 263 AEUV).
Das heißt, beispielsweise eine Forscherin, die an Emissionswerten interessiert ist und diese nicht auf entsprechenden Informationsportalen findet, deshalb eine Anfrage an die Europäische Umweltagentur gestellt hat, welche diese abgelehnt hat, könnte nun eine Klage auf Herausgabe der Informationen einreichen (und damit gleichzeitig auf Nichtigkeit des ablehnenden Informationsbescheids klagen).
Das Prozesskostenrisiko vor dem Europäischen Gerichtshof ist hoch. Eine Beschwerde bei der Ombudsstelle ist hingegen kostenfrei. Mit einer längeren Verfahrensdauer ist bei beiden Rechtsbehelfen zu rechnen.
Außerdem kann parallel zu oder im Anschluss an eine Beschwerde oder Klage innerhalb der Unionsrechtsordnung eine
Öffentliche Beschwerderüge beim Aarhus Convention Compliance Committee der Vereinten Nationen eingereicht werden (Artikel 15 in Verbindung mit MoP-Beschluss I/7, Absätze 18 bis 24).
Durch eine Beschwerderüge entstehen keine unmittelbaren Kosten.
Rechtsbehelfe bei fehlender oder mangelhafter Beteiligung der Öffentlichkeit bei Umweltfragen
Grundsätzlich haben alle Unionsbürger*innen das Recht, sich an alle Unionsorgane und die beratenden Einrichtungen der Union zu wenden und eine Antwort zu erhalten (Artikel 20 Absatz 2 Buchstabe d AEUV). Wenn eine Bürgerin zum Beispiel auch nach Fristablauf eines Konsultationsprozesses noch ihre Meinung einbringen möchte und sich dafür an die Europäische Kommission wendet, muss ihr diese antworten.
Wenn das Recht auf Beteiligung in Umweltbelangen von EU-Organen potenziell verletzt wurde, stehen folgende außergerichtliche Beschwerdewege offen:
- Beschwerde bei der oder dem Bürgerbeauftragten (Artikel 20 Absatz 2 Buchstabe d, Artikel 24 Absatz 4 f. in Verbindung mit Artikel 228 Absatz 1 AEUV), oder
- Petition beim Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments einzureichen (Artikel 227 AEUV).
Durch die Einreichung von Beschwerden oder Petitionen entstehen keine unmittelbaren Kosten.
Mehr Informationen zur Europäischen Ombudsstelle finden Sie hier.
Beschwerde bei der Europäischen Ombudsstelle können Sie hier online hier einreichen.
Beschwerde per Post an:
Médiateur européen
1 avenue du Président Robert Schuman
CS 30403
F-67001 Strasbourg Cedex
Einzelpersonen oder Verbände können ferner eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen.
Darüber hinaus können Einzelpersonen und Verbände eine öffentliche Beschwerderüge beim Aarhus Convention Compliance Committee der Vereinten Nationen einreichen (Artikel 15 in Verbindung mit MoP-Beschluss I/7, Absätze 18 bis 24). Durch eine internationale Beschwerderüge entstehen keine unmittelbaren Kosten.
Interne Überprüfung von
Europäischen Verwaltungsakten
Umweltverbände und Privatpersonen können unter bestimmten Voraussetzungen eine interne Überprüfung eines Verwaltungsaktes durch das EU-Organ veranlassen, das den Akt erlassen hat (Artikel 10 Aarhus-Verordnung).
Was ist ein Verwaltungsakt der Europäischen Union?
Ein Verwaltungsakt ist jeder von einem Unionsorgan angenommene Rechtsakt ohne Gesetzescharakter, der eine rechtliche Wirkung und eine Außenwirkung hat und Bestimmungen enthält, die möglicherweise gegen das Umweltrecht im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe f verstoßen (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe g Aarhus-Verordnung).
Hinter dieser rechtstechnischen Definition verbergen sich beispielsweise folgende europäische Entscheidungen, die sich auf die Umwelt, die Gesundheit oder den Ressourcenverbrauch auswirken:
- Entscheidungen über die Zulassung von Wirkstoffen auf EU-Ebene, die in Pestiziden verwendet werden können, wie zum Beispiel Glyphosat, das von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wurde;
- Die Entscheidung, die Liste neuer Energieinfrastrukturprojekte für fossile Brennstoffe zu genehmigen (die sogenannte engl. „Projects of Common Interest-Liste“, kurz PCI-Liste);
- Beschlüsse zur Regelung der Emissionsprüfungen von Kraftfahrzeugen im Realbetrieb; sowie
- Beschlüsse zur Festsetzung der zulässigen Gesamtfangmengen (engl. „total allowable catches“, kurz TAC) für bestimmte Fischbestände im Nordostatlantik und der Ostsee.
Eine interne Überprüfung kann auch im Falle einer behaupteten Verwaltungsunterlassung (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe h Aarhus-Verordnung) beantragt werden, wenn damit gegen Umweltrecht verstoßen wird (Artikel 10 Absatz 1 Aarhus-Verordnung).
Kriterien für die Antragsberechtigung
Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen verfügen über ein Antragsrecht, sofern sie bestimmte Kriterien erfüllen (Artikel 11 Aarhus-Verordnung):
Nichtregierungsorganisationen (Artikel 11 Absatz 1 Aarhus-Verordnung) | Privatperson (Artikel 11 Absatz 1a Aarhus-Verordnung) |
|
oder
|
Tabelle oben: Kriterien für Antragsberechtigung für die interne Überprüfung eines europäischen Verwaltungsaktes
Antrag auf interne Überprüfung eines Verwaltungsaktes
Ein solcher Antrag muss schriftlich eingereicht und mit Gründen versehen sein. Der Antrag muss innerhalb von höchstens acht Wochen ab dem Zeitpunkt des Erlasses, der Bekanntgabe oder der Veröffentlichung des Verwaltungsakts erfolgen, je nachdem, was zuletzt erfolgte (Artikel 10 Absatz 1 Aarhus-Verordnung).
Das Unionsorgan prüft den Antrag, sofern er nicht offensichtlich unbegründet ist oder stichhaltige Gründe fehlen. Das Organ antwortet zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens innerhalb von 16 Wochen schriftlich. Die Antwort enthält eine Begründung (Artikel 10 Absatz 2 Aarhus-Verordnung).
Eine spätere Antwort ist möglich, allerspätestens hat das Organ innerhalb von 22 Wochen zu handeln (Artikel 10 Absatz 3 Aarhus-Verordnung).
Online-Systeme für die Entgegennahme von Überprüfungsanträgen
Zukünftig können interne Überprüfungsanträge in einem Online-System eingereicht werden (Artikel 11a Absatz 1 Aarhus-Verordnung).
Alle Anträge und abschließenden Entscheidungen zu den Anträgen sind zu veröffentlichen (Artikel 11a Absatz 2 Aarhus-Verordnung).
Ein Antrag auf interne Prüfung verursacht keine unmittelbaren Kosten.
Beispiele und weiterführende Informationen zu Anträgen auf interne Überprüfung, engl. „Request for Internal Review“ (RIR) sind hier zu finden:
- Europäische Kommission, Requests for internal reviews.
- Justice and Environment, The RIR: Practical Application of the Request for Internal Review, Brüssel 2011.
Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof
Nichtregierungsorganisationen können ferner Klage vor dem Gerichtshof erheben (Artikel 12 Absatz 1 Aarhus-Verordnung).
Antwortet das EU-Organ nicht oder zu spät auf interne Überprüfungsanträge, können die NGOs oder Privatpersonen deswegen Klage vor dem Gerichtshof erheben (Artikel 12 Absatz 2 Aarhus-Verordnung).
Direktklagen vor dem
Europäischen Gerichtshof
Individualkläger*innen stehen folgende Rechtsbehelfe zur gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen der Unionsorgane in Umweltangelegenheiten zur Verfügung:
- Nichtigkeitsklage (Artikel 263 AEUV),
- Untätigkeitsklage (Artikel 265 AEUV), sowie
- Schadensersatzklage (Artikel 268 AEUV).
Das Prozesskostenrisiko bei diesen Klagen ist hoch und es ist mit einer langen Verfahrensdauer zu rechnen.
Vorabentscheidungsverfahren und
Vertragsverletzungsverfahren
Sollen Handlungen der Mitgliedstaaten gerichtlich überprüft werden, sind zwei Verfahren möglich:
- Vorabentscheidungsverfahren (Artikel 267 AEUV) oder
- Vertragsverletzungsverfahren (Artikel 258 ff. AEUV).
Vorabentscheidungsverfahren
Eine indirekte Klageart ist das Vorabentscheidungsverfahren, bei dem ein mitgliedstaatliches Gericht eine oder mehrere Fragen zur Anwendung des Unionsrechts an den Europäischen Gerichtshof stellt. Das nationale Gericht legt die Frage(n) zur Auslegung oder Gültigkeit einer Bestimmung des unionalen Rechts gemäß seinen nationalen Verfahrensregeln vor, in Deutschland beispielsweise in Form eines gerichtlichen Beschlusses. Handelt es sich um ein in letzter Instanz entscheidendes Gericht – in Deutschland beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht – ist die Anrufung des Gerichtshofs zwingend vorgeschrieben.
Individualkläger*innen haben keinen direkten Einfluss darauf, ob ein nationales Gericht die Anwendungsfrage dem Europäischen Gerichtshof tatsächlich vorlegt. Die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt rund 16 Monate.
Vertragsverletzungsverfahren
Die Europäische Kommission kann ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einleiten, wenn dieser gegen europäisches Umweltrecht verstößt. Beispielsweise werden von der Europäischen Kommission gegen Deutschland regelmäßig Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil die Landwirt*innen die landwirtschaftlichen Nutzflächen überdüngen und somit den guten Zustand der Grund- und Oberflächenwasserkörper gefährden (und damit gegen die EU-Nitratrichtlinie und Wasserrahmenrichtlinie verstoßen). 1
Auch Mitgliedstaaten können den Europäischen Gerichtshof anrufen, wenn sie die Auffassung vertreten, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen europäisches Umweltrecht verstößt.
Einzelpersonen oder Verbände können kein formelles Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Sie können jedoch eine Beschwerde über einen Verstoß gegen EU-Recht durch einen Mitgliedstaat an die Kommission richten. Damit kann die Öffentlichkeit die Europäische Union auf potenzielle Verstöße gegen europäisches Umweltrecht aufmerksam machen. Durch eine Meldung entstehen keine unmittelbaren Kosten.
Elektronisches Beschwerdeformular zur Meldung eines Verstoßes von unionalem Umweltrecht an die Europäische Kommission finden Sie hier.
Beschwerden können auch schriftlich in Briefform, per Telefax oder E-Mail an sg-plaintes@ec.europa.eu übermittelt oder per Post gesendet werden:
Generalsekretariat
Europäische Kommission
Rue de la Loi 200/ Wetstraat 200
1049 Bruxelles/Brussels
Belgium
Die Beschwerde kann bei jeder nationalen Vertretung der Kommission abgegeben werden. In Deutschland gibt es z. B. in Berlin, Bonn und München (Regional)Vertretungen der Europäischen Kommission.
Zu beachten ist jedoch, dass die Kommission nicht grundsätzlich dazu verpflichtet ist, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Sie leitet ein Verfahren lediglich ein, wenn sie als „Hüterin der EU-Verträge“ die vollständige Vereinbarkeit des mitgliedstaatlichen Rechts mit dem Unionsrecht und deren ordnungsgemäße Anwendung sicherstellen will. Die Kommission ruft gegebenenfalls den Europäischen Gerichtshof an (Vertragsverletzungsklage gemäß Artikel 258 AEUV).
Weiterführende praktische Informationen zu Beschwerden an die EU-Kommission sind hier zu finden.
1 Siehe zum Beispiel EuGH, C-543/16, Kommission gegen Deutschland.